Die Kraft unserer (Ur-)Ahnen

Die aufwendige Zusammenstellung eines Familienstammbaumes von einem Verwandten veranlasste mich, als Nachkomme einer Flüchtlingsfamilie, über meine Ahnen und meine eigene Vergangenheit nachzudenken. Meine Mutter wurde als Kind mit ihren Eltern während des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat Schlaggenwald/Böhmen, im heutigen Tschechien, vertrieben. Meine gesamte Familie mütterlicherseits verteilte sich von dort aus in ganz Deutschland, bis hoch nach Schweden und in die USA. Die sudetendeutsche Mundart, die zwischen meiner Mutter und ihren Eltern noch bis zu ihrem Tod gesprochen wurde, klingt mir immer noch in den Ohren und visualisiert ein Gefühl von Heimat, Kindheit und Verbundenheit. Zeit, sich zu besinnen, welche Einflüsse unsere Ahnen auf unser Leben haben und welche Kraft unsere Urahnen uns geben können.

Erinnerungen…

„Spätestens im Rentenalter hat man Zeit und Muße, einmal über die Herkunft und Lebensweise unserer Vorfahren nachzudenken. Gar zu oft waren Not, Kriege und Vertreibungen, aber auch oftmals persönliche und familiäre Gründe Anlass, irgendwo einen Neuanfang zu beginnen. Auch in jüngster Zeit ist durch von dem Nationalsozialismus hervorgerufenen 2. Weltkrieg und die daraus entstandenen Resultate und Vertreibungen vieles auch in familiärer Hinsicht auseinander gelaufen. Deshalb der Versuch, durch beiliegende Aufstellungen, eine Gemeinsamkeit der Familiengeschichte zu erreichen. Dadurch können die Erinnerungen an unsere Vorfahren wachgehalten werden. Gerhard Enders, Plauen“

Diese Worte haben mich tief berührt. Der Verfasser dieser Zeilen und Initiator einer Familienzusammenkunft, die vor einigen Jahren stattgefunden hat, ist leider einige Wochen zuvor verstorben. Er hat unermüdlich geforscht und eine einfache, handgeschriebene, aber liebevolle Übersicht unserer Ahnen erstellt, beginnend im Jahr 1774. Es ist beeindruckend zu sehen, wie eng miteinander verwoben unsere Familie ist, obwohl wir nur einen Bruchteil persönlich kennen und über viele Familienmitglieder nicht einmal Bescheid wissen. Dieses kleine Netzwerk innerhalb unserer eigenen Familie lässt sich auf die gesamte Menschheit übertragen, und man erkennt, dass letztendlich jeder mit jedem auf irgendeine Weise verbunden ist. Dieser Prozess erstreckt sich über Jahrtausende.

»Geschichte entfaltet sich von selbst, Tag für Tag, Stunde für Stunde.«

Nicht immer sind es angenehme Handlungen, auf die der Mensch zurückblicken kann. Oft haben unsere Taten weitreichende und negative Auswirkungen auf andere Menschen. Das betrifft uns selbst, unsere Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und so weiter. Nicht jeder von uns kann auf eine Kindheit voller Geborgenheit in seiner Familie zurückblicken. In solchen Momenten sollten wir rückblickend daran denken, dass sie vielleicht nicht wussten, wie sie sich anders verhalten sollten, unabhängig davon, was passiert ist oder nicht passiert ist. Genau wie wir heute nicht alles wissen und unbewusst Verhaltensweisen an unsere eigenen Kinder oder andere weitergeben.

„War er ihnen ein guter Vater? Nein, er hat wohl nicht gewusst wie sowas geht.“ (Unterhaltung zwischen dem Großvater und seinem vermeintlichem Enkel aus dem Film „Copenhagen“)

So sollten wir, wenn möglich und wenn dies notwendig ist, uns mit unseren Ahnen versöhnen und ihnen vergeben, selbst wenn sie aus unserer begrenzten Sichtweise heraus schlechten Einfluss auf uns genommen haben, oder wenn wir der Meinung sind, dass unser Leben dadurch beeinträchtigt wurde. Wenn die Verbindung zwischen uns und unseren Eltern, Großeltern und Ahnen gestört ist, wird der Energiefluss blockiert, und es entstehen energetische Blockaden. Das bedeutet nicht, dass wir alles gutheißen müssen, was sie getan haben, oder dass wir unsere eigenen Meinungen und emotionalen Grenzen nicht äußern dürfen, wenn es notwendig ist, insbesondere wenn sie noch am Leben sind. Aber wir sollten uns bemühen, Verständnis und Empathie aufzubringen, selbst wenn das schwerfällt, um den Energiekanal wieder frei fließen zu lassen. Das erfordert keine endlosen Diskussionen, in denen wir einander nicht verstehen, sondern vielmehr geistige Auseinandersetzung und Akzeptanz dessen, was geschehen ist, auch wenn es unangenehm war. Erst dann können Versöhnung und Vergebung folgen. Es ist auch an der Zeit, uns selbst zu vergeben, wenn wir im Rückblick auf unser Leben feststellen, dass wir die eine oder andere falsche Entscheidung getroffen haben.

»Unsere Seelen sind verbunden, ob wir wollen oder auch nicht«

Unsere Ahnen können uns unterstützen, uns selbst zu erkennen und unsere innere Stärke zu entfalten, selbst jene Verwandten, die noch am Leben sind und mit denen wir möglicherweise Konflikte haben, wie Eltern oder Großeltern. Es ist nicht ohne Grund aus spiritueller Sicht, dass wir einst unsere Eltern ausgewählt haben, um die optimalen Voraussetzungen für unsere Lernprozesse zu schaffen. Die Seelen unserer Vorfahren bleiben auch nach ihrem irdischen Leben untrennbar mit unserer eigenen Seele verbunden und streben stets unser Bestes an. Wenn wir uns auf unsere Ahnen besinnen, ihnen vergeben und verstehen, dass sie möglicherweise aus Unwissenheit Leid über uns oder andere gebracht haben, können wir unsere innere Kraft finden und gestärkt unseren Weg fortsetzen. Unsere Selbstwahrnehmung und kreative Potenziale können sich entfalten, sobald wir unsere Ahnen nicht als Hindernisse oder Schuldige für mögliche Rückschläge betrachten, sondern stattdessen eine Aussöhnung anstreben und die bedingungslose Liebe dahinter erkennen, möglicherweise sogar spüren.

Unsere verstorbenen (Ur-)Ahnen, mit denen wir immer noch in Verbindung stehen, schenken uns Kraft, wenn wir sie benötigen. Unsere Vorfahren in Deutschland haben in den beiden Weltkriegen große Leiden erfahren oder verursacht, wurden vertrieben oder haben andere vertrieben. Flucht, Hunger, Armut und Not sind tragische Ergebnisse menschlichen Handelns. Es ist wichtig, dass wir uns dieser Tatsache stets bewusst sind. Im Leben gibt es immer zwei Seiten, und im Rahmen der karmischen Gesetzmäßigkeiten können wir erkennen, dass aus unserer menschlichen Perspektive heraus in einem Leben jemand als »gut« angesehen wird, während dieselbe Person im nächsten möglicherweise als »schlecht« betrachtet wird, wie es beispielsweise im Film »Cloud Atlas« eindrucksvoll dargestellt wird.

Von einer universellen Perspektive aus gibt es jedoch weder Gut noch Böse, sondern nur die Essenz der Verflechtung von Umständen, die die Realität so erscheinen lässt, wie sie von uns Menschen als angenehm oder unangenehm empfunden wird. Diese tiefere Wahrheit ist es wert, erforscht zu werden.

Copyright: © Alexander Miller

Bilder: Fotolia.de (Beitragsbild), Gehvoran.com (restliche Bilder des Beitrags)

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